Sachverhalt
Barbara, Peter und Michael lebten in einem „neurotischen“ Dreier-Beziehungsverhältnis, welches von Irrglauben und Mythen geprägt war. Mit der Zeit gelang es Peter und Barbara dem naiven und leicht beeinflussbaren Michael vorzugaukeln, dass ein „Katzenkönig“ existiere. Dieser verkörpere das Böse und bedrohe die Menschheit.
Eines Tages erfuhr Barbara, dass ihr Ex-Freund beabsichtigt, seine neue Freundin Annemarie zu heiraten. Aus Eifersucht und Hass entschloss sich Barbara gemeinsam mit Peter, dies zu verhindern und Annemarie zu töten. Die Tat wollten sie jedoch nicht selbst begehen, sondern durch Michael. Sie erzählten ihm, dass der „Katzenkönig“ für seine vielen Fehler und Missgeschicke ein Menschenopfer in Gestalt von Annemarie fordere. Wenn das Menschenopfer nicht erbracht werde, könne er, Michael, nicht länger mit ihnen zusammenleben und es würde die gesamte Menschheit vernichtet werden.
Obwohl Michael um die Strafbarkeit der Tötung von Annemarie wusste, versprach er die Tat zur Rettung der Menschheit auszuführen. Um Michael weiter unter Druck zu setzen, behaupteten Barbara und Peter, dass seine unsterbliche Seele bei einem Bruch des Schwures auf alle Ewigkeit verflucht sei. Peter gab Michael schließlich sein Fahrtenmesser und empfahl ihm, Annemarie damit zu erstechen.
Am Abend des 30. Juli 1986 suchte Michael Annemarie in ihrem Blumenladen auf und gab vor, Rosen zu kaufen. Sodann stach er plötzlich und unvermittelt 12x mit dem Fahrtenmesser in Hals, Gesicht und Körper der völlig ahnungs- und wehrlosen Annemarie ein, um sie zu töten. Dabei ging Michael genauso vor, wie Barbara und Peter ihm dies angeraten hatten. Als Passanten auf die Tat aufmerksam wurden, ließ Michael von Annemarie ab, um unerkannt zu entkommen. Er glaubte, dass Annemarie versterben würde. Diese überlebte jedoch wie durch ein Wunder.
Lerntipp👍
Entscheidung
Das Landgericht Bochum verurteilte Michael wegen versuchten Mordes gem. §§ 212 Abs. 1, 211, 22, 23 Abs. 1, 21 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren; zudem wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Schwurgerichtskammer lehnte alle in Betracht kommenden Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe wie etwa Notwehr, rechtfertigender Notstand oder Irrige Annahme ab. Michael wusste, dass die Tötung von Annemarie nicht gerechtfertigt war, auch nicht zur Abwehr der Vernichtung der Menschheit (keine Abwägung „Leben gegen Leben“). Da Michael glaubte, dass Annemarie versterben werde, ist er auch nicht strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten. Die Kammer hat jedoch eine verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB angenommen.
Barbara und Peter wurden wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 211, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass beide nicht als Anstifter einer fremden Haupttat anzusehen sind, sondern vielmehr als mittelbare Täter. Sie wollten die Tat als eigene durch Michael begehen und beherrschten diesen wegen ihrer Überlegenheit im Wissen über die Wahrheit des „Katzenkönigs“ und kraft ihres lenkenden Plans. Dass Michael selbst volldeliktisch als strafrechtlich verantwortlich handelte, ist in diesem Sonderfall des „Täters hinter dem Täter“ unerheblich.
Der Bundesgerichtshof bestätigte mit Urteil vom 15. September 1988 (Az. 4 StR 352/88; BGHSt 35, 347) auf die Revisionen der drei Angeklagten die Entscheidung des Landgerichts weit überwiegend. Lediglich die Strafaussprüche wurden aufgehoben, da die Schwurgerichtskammer die Ablehnung einer Strafrahmenmilderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB bei allen Angeklagten nicht hinreichend begründet habe. Zudem seien die Tatbeiträge von Barbara und Peter nicht gleichwertig; vielmehr sei Barbara die treibende Kraft gewesen.
Eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Bochum verurteilte Michael nach erneuter Verhandlung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren, Barbara zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren und Peter zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren.
Lerntipp👍
Anmerkungen
Der Katzenkönig-Fall ist ein absoluter Klassiker, den Ihr unbedingt für euer Jurastudium und das 1. Staatsexamen verinnerlichen und auf dem Schirm haben solltet. Das Landgericht Bochum hat sich in seiner Entscheidung vor allem mit der höchst umstrittenen Problematik der mittelbaren Täterschaft beim volldeliktisch handelnden Werkzeug befasst und diese – nicht zuletzt aufgrund der Bestätigung durch den Bundesgerichtshof – überzeugend gelöst. Die in dem Urteil vorkommenden Probleme stellen typische AT-Problemfelder dar, die häufig in Klausuren abgefragt werden und daher regelmäßig wiederholt werden sollten.
Als optimaler Einstieg oder schnelle Wiederholung ist der Crashkurs Strafrecht AT ideal. Hier lernst Du in nur 5,5 Stunden das gesamte Strafrecht AT unter examensrelevanten Gesichtspunkten, sodass Du für Deine Prüfungen perfekt vorbereitet bist.
Lerntipp👍
Lösungsskizze
A. Strafbarkeit von Michael
- §§ 212 Abs. 1, 211, 22, 23 Abs. 1 StGB
- Vorprüfung (+)
- Tatentschluss (+)
- Unmittelbares Ansetzen (+)
- Problem: Rechtswidrigkeit
- Notwehr, § 32 StGB (-)
- Notstand, § 34 StGB (-)
- Erlaubnistatbestandsirrtum (-)
- Problem: Schuld
- Verbotsirrtum, § 17 StGB (nein, da vermeidbar -)
- Entschuldigender Notstand, § 35 StGB (-)
- Übergesetzlich entschuldigender Notstand (-)
- Schuldunfähigkeit, § 20 StGB (-)
- Verminderte Schuldfähigkeit, § 21 StGB (+)
- Rücktritt, § 24 StGB (-)
- Ergebnis (+)
B. Strafbarkeit von Barbara und Peter
- §§ 212 Abs. 1, 211, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB
- Vorprüfung (+)
- Problem: Tatentschluss
- Tötungsvorsatz (+)
- Mordmerkmale (+)
- Tatherrschaftsbewusstsein hinsichtlich des Tatmittlers (ja, als “Täter hinter dem Täter” +)
- Unmittelbares Ansetzen (+)
- Rechtswidrigkeit (+)
- Schuld (+)
- Rücktritt, § 24 StGB (-)
- Ergebnis (+)