Sachverhalt
Die fünf Freunde Erna, Marie-Luise, Klaus, Otto und Waldemar hatten sich zu einer Lottotippgemeinschaft zusammengeschlossen und tippten jede Woche mit einem Einsatz von 50,- DM dieselben Zahlenreihen. Die Teilnehmerbeiträge von jeweils 10,- DM wurde bei Waldemar eingezahlt, der auch die Aufgabe hatte, den Lottoschein im eigenen Namen auszufüllen und bei der Lottoannahmestelle abzugeben.
Als Waldemar eines Tages vergaß, den Lottoschein auszufüllen und abzugeben, wurden ausgerechnet einige Zahlen der Tippgemeinschaft gezogen und es entging ihnen ein Gewinn von insgesamt 10.550,- DM. Daraufhin wurde Waldemar von Erna, Marie-Luise und Klaus auf Schadensersatz in Höhe von jeweils 2.110,- DM – ihrem anteiligen Gewinn – verklagt.
Waldemar meinte, dass ihm kein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden könne. Denn er habe den Lottoschein aus beruflichen Gründen leider nicht rechtzeitig ausfüllen und abgeben können.
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Entscheidung
Das Landgericht Bochum wies die Klage von Erna, Marie-Luise und Klaus gegen Waldemar ab. Es fehle bereits an einem Rechtsbindungswillen von Waldemar hinsichtlich des Ausfüllens und Abgebens des Lottoscheins. Denn die Annahme eines Rechtsbindungswillens würde ein außerordentliches Schadensersatzrisiko mit sich bringen, da die verhältnismäßig große Gefahr bestehe, dass der beauftragte Spieler gegen die von den Mitspielern getroffene Abrede verstößt.
Die Berufung wies das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 6. November 1972 ebenfalls ab. Zur Begründung führte der 8. Zivilsenat aus, dass Spiel- und Wettschulden gemäß § 762 BGB nicht einklagbar seien. Zwar gelte die Vorschrift nicht direkt für staatlich genehmigte Lotterien und Ausspielungen. § 762 BGB sei jedoch zumindest entsprechend anwendbar, weil der Spielbeauftragte bei einer staatlich genehmigten Lotterie oder Ausspielung wegen der möglichen Schadensersatzpflicht ein ebenso gefährliches “Spielrisiko” eingehe wie der Spieler bei einem staatlich nicht genehmigten Spiel.
Der Bundesgerichtshof verwarf schließlich die Revision der drei “Freunde” mit Urteil vom 16. Mai 1974 (Az. II ZR 12/73, NJW 1974, 1705). Zur Begründung führte der II. Zivilsenat aus, dass die Klageabweisung im Ergebnis nicht zu beanstanden sei. Allerdings beruhe dies nicht auf einer analogen Anwendung von § 762 BGB, sondern vielmehr auf einem fehlenden Rechtsbindungswillen, worauf schon das Landgericht zutreffend abgestellt habe.
Es könne leicht vorkommen, dass der beauftragte Spieler das Ausfüllen der Wettscheine wegen anderweitiger Verpflichtungen vergisst oder versehentlich andere Zahlen ankreuzt als vereinbart. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem solchen Fehler ein erheblicher Schaden erwächst, sei ebenso wie die Chance auf einen hohen Gewinn sehr klein. Wenn der Schaden jedoch eintrete, könne dieser eine außergewöhnliche Höhe erreichen, insbesondere bei Gewinnen der I. und II. Gewinnklasse. Die Ersatzpflicht hätte in diesen Fällen für den beauftragten Spieler vielfach eine Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz zur Folge; jedenfalls würde sie ihn ungleich härter treffen, als wenn den Mitspielern ein Ersatzanspruch wegen des entgangenen Spielgewinns, mit dem sie nicht ernsthaft haben rechnen können, versagt werde.
Eine Haftung des beauftragten Spielers, der das Ausfüllen der Wettscheine ohne Entgelt übernimmt, würde auch dem Gedanken des gemeinsamen Spiels widersprechen. Denn eine Spielgemeinschaft werde zumeist mit dem Ziel verabredet, durch den erhöhten Einsatz die geringe Gewinnchance etwas zu erweitern. Dagegen liege es völlig außerhalb der Vorstellung der Beteiligten, dass sich aus ihrem Zusammenschluss für einen von ihnen eine möglicherweise existenzvernichtende Schadensersatzpflicht ergeben könnte.
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Anmerkungen
Der Lotteriefall ist ein wichtiger und spannender Fall zum Rechtsbindungswillen bei unentgeltlichen Aufträgen. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass im Rahmen der grundsätzlich stets vorzunehmenden Abwägung in derartigen Fällen ein Rechtsbindungswille des beauftragten Spielers regelmäßig abzulehnen sein wird, da niemand sehenden Auges freiwillig das Risiko eines existenzvernichtenden Schadensersatzforderung übernehmen wird. Gleichwohl brauchte es für diese eigentlich evidente Feststellung drei Instanzen. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde.
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