Sachverhalt
Der Kläger erwarb am 10. Januar 2014 einen gebrauchten Volkswagen (VW) Sharan 2.0 TDI von einem Autohändler zum Preis von 31.490,00 EUR. Das Auto war mit einem Dieselmotor des Typs EA189 sowie der Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet. Am 18. September 2015 gab VW öffentlich bekannt, dass sich in ihren Diesel-Fahrzeugen mit dem Motor des Typs EA189 – und damit auch in dem Auto des Klägers – eine illegale Abschalteinrichtung befindet, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet. In diesem Fall wird der Motor in einen speziellen Abgasrückführungsmodus geschaltet, sodass die Schadstoffnorm Euro 5 eingehalten wird, was im normalen Modus nicht der Fall ist.
Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) gab VW daraufhin am 15. Oktober 2015 mit Bescheid auf, die unzulässige Abschalteinrichtung zu beseitigen, sodass die Grenzwerte für die Euro 5 Norm stets eingehalten werden. VW kam dieser Aufforderung nach und forderte am 25. November 2015 alle betroffenen Kunden auf, unverzüglich ein Software-Update des Motorsteuergeräts durchzuführen zu lassen, um damit die Abschalteinrichtung zu entfernen. Der Kläger ließ das Update im Februar 2017 durchführen und verklagte VW im September desselben Jahres wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges.
Entscheidung
Das Landgericht Bad Kreuznach wies die Klage mit Urteil vom 5. Oktober 2018 in erster Instanz ab. Eine Haftung von VW nach § 826 BGB komme mit Blick auf den Schutzzweck der verletzten Normen nicht in Betracht. Gegen die Entscheidung legte der Kläger Berufung ein.
Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte VW in zweiter Instanz zur Zahlung von 25.616,10 EUR nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, da der Kläger einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog habe. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeuges mit einer illegalen Abschalteinrichtung stelle bereits eine konkludente Täuschung des Klägers aber auch des KBA dar. Denn VW gebe damit vor, das Fahrzeug würde die Voraussetzungen zur Einhaltung der Euro 5 Norm erfüllen, was jedoch tatsächlich gar nicht der Fall ist. Die Täuschung sei zudem nicht zu erkennen gewesen und auch sittenwidrig.
VW habe die illegale Abschalteinrichtung hauptsächlich zur Profitmaximierung verwendet und über Jahre hinweg bei mehreren Tochterunternehmen des Konzerns eingesetzt. Dieses Vorgehen sei systematisch und die Folgen für die Kunden seien verheerend. So sei das Software-Update zwar höchst umstritten. Ohne dieses drohe den Kunden jedoch der Entzug der Betriebserlaubnis und damit eine Stilllegung ihres Fahrzeuges. Das Verhalten von VW habe sich außerdem negativ auf die Umwelt ausgewirkt. Die Installation der Abschalteinrichtung sei auch vorsätzlich erfolgt. Die Vertreter des VW-Konzerns müssten sich das Handeln und die Kenntnisse ihrer Mitarbeiter nach § 31 BGB analog zurechnen lassen (sog. Repräsentantenhaftung).
Der Schaden des Klägers liege im Erwerb des mangelhaften Fahrzeugs und beschränke sich nicht allein auf den reinen Nutzwert. Vielmehr müsse auch der Vermögenswert, der sich in einem geringeren Wiederverkaufswert manifestiere, sowie die enttäuschten Erwartungen des Klägers berücksichtigt werden. Der Schaden sei auch nicht durch das vorgenommene Software-Update beseitigt worden. Allerdings müssten bei der Schadenshöhe die gezogenen Nutzungen des Klägers im Wege des Vorteilsausgleichs angerechnet werden.
Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz legten beide Parteien Revision ein, die jedoch ganz überwiegend ohne Erfolg blieben; lediglich die Revision von VW war in Bezug auf einige unbedeutende Nebenpunkte erfolgreich. Der Bundesgerichtshof schloss sich vielmehr der Rechtsauffassung des OLG Koblenz an und bestätigte mit Urteil vom 25. Mai 2020 (Az. VI ZR 252/19; BGHZ 225, 316), dass VW mit dem Einbau der illegalen Abschalteinrichtung eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zu Lasten des Klägers begangen habe.
Anmerkungen
Der Diesel-Skandal von VW und anderen Herstellern hat hohe Wellen geschlagen und den guten Ruf der deutschen Automobilindustrie nachhaltig beschädigt. Die Folge des “Dieselgates” waren unzählige Klagen und verschiedene, zum Teil konträre Urteile. In dem vorliegenden Fall hatte der Bundesgerichtshof zum ersten Mal die Gelegenheit, die illegalen Abschalteinrichtungen rechtlich zu beurteilen. Wichtig ist, dass der BGH seine Rechtsprechung in der Folge bezüglich neuer Käufer teilweise geändert hat. Vor allem aufgrund der enormen medialen Berichterstattung dürfte inzwischen fraglich sein, ob man immer noch von einer „Täuschung“ dieser eigentlich informierten Kunden ausgehen kann. Gerade aus diesem Grund bietet sich die Thematik sehr gut für die ein oder andere Examensklausur an. Zur optimalen Vorbereitung empfiehlt sich mein Crashkurs Schuldrecht BT, in dem Du einen perfekten Überblick über das Deliktsrecht, die Geschäftsführung ohne Auftrag sowie das Bereicherungsrecht bekommst.
Lösungsskizze
Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog
- Schadenszufügung
- Installation der illegalen Abschalteinrichtung (+)
- Problem: Handlung der Verantwortlichen
- Kann den Vertretern von VW die Schadenszufügung zugerechnet werden? i.E. § 31 BGB analog (+)
- Problem: Sittenwidrigkeit
- Ist die Installation der Abschalteinrichtung sittenwidrig? i.E. (+)
- Vorsatz (+)
- Problem: Rechtsfolgen
- Muss sich der Kunde die Nutzungsmöglichkeit im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen? i.E. (+)
- Ergebnis (+)