Sachverhalt
Im Jahr 1969 planten Wolfgang D., Hans-Jürgen F. und Gernot W. einen Überfall auf ein Waffen- und Munitionsdepot der Bundeswehr im saarländischen Lebach. Die drei Männer wollten mit den erbeuteten Waffen weitere Straftaten und Raubüberfälle begehen, um sich ihren Traum von einem gemeinsamen Leben auf einer Hochseeyacht in der Südsee zu erfüllen.
Am frühen Morgen des 20. Januar 1969 setzten Wolfgang D. und Hans-Jürgen F. den Plan in die Tat um. Sie drangen in das Bundeswehrlager ein und schossen auf die fünf schlafenden Soldaten. Drei von ihnen waren sofort tot, einer erlag später seinen schwereren Verletzungen. Ein Soldat überlebte schwer verletzt. Wolfgang D. und Hans-Jürgen F. erbeuteten drei Sturmgewehre, zwei Pistolen und über 1000 Schuss Munition. Die Soldatenmorde von Lebach sorgten in der Öffentlichkeit und Politik für großes Entsetzen.
Das Landgericht Saarbrücken verurteilte Wolfgang D. und Hans-Jürgen F. am 7. August 1970 wegen Mordes in vier Fällen zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Gernot W. erhielt wegen Beihilfe zu den Morden eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren.
Das ZDF wollte im Juni 1972 einen Fernsehfilm über den Fall ausstrahlen. In dem rund 2,5-stündigen Film sollten Wolfgang D., Hans-Jürgen F. und Gernot W. mit ihrem vollständigen Namen vorgestellt werden und es sollten Bilder von ihnen gezeigt werden. Gernot W. war damit nicht einverstanden, da er bereits knapp 2/3 seiner Haftstrafe verbüßt hatte und die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 57 StGB aufgrund guter Führung kurz bevor stand.
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Entscheidung
Das Landgericht Mainz wies mit Urteil vom 8. Juni 1972 (Az. 1 O 128/2) die Klage von Gernot W. gegen das ZDF wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts nach §§ 823, 1004 BGB ab. W. sei durch seine Beteiligung an dem Soldatenmord zumindest für einen begrenzten Zeitraum als relative Person der Zeitgeschichte anzusehen. Die Tat habe ein starkes Interesse der Öffentlichkeit an den psychologischen und soziologischen Hintergründen erregt. W. müsse daher die filmische Aufarbeitung dulden, insbesondere da die Geschehnisse bekannt seien und der Film den Sachverhalt dokumentarisch auch einwandfrei wiedergebe.
Die Berufung von W. blieb ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht Koblenz bestätigte die Entscheidung der Mainzer Richter mit Urteil vom 5. Oktober 1972 (Az. 9 U 552/72, NJW 1973, 251). Bei der vorzunehmenden Güterabwägung müsse das Recht am eigenen Bild von Gernot W. hinter dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach sachgerechter bildmäßiger Information zurückstehen. Der Film werde zwar möglicherweise die Resozialisierung von W. erschweren. Dies müsse er jedoch in Kauf nehmen. Denn das Interesse der Allgemeinheit beruhe nicht auf Zufall, sondern auf schwerwiegender menschlicher Schuld auch von Gernot W.
Auf die Verfassungsbeschwerde von W. hob das Bundesverfassungsgericht die vorangegangenen Entscheidungen mit Urteil vom 5. Juni 1973 (Az. 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202) auf. Zur Begründung führte der Erste Senat aus, dass sich das ZDF für ihren Fernsehfilm zwar auf die Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG berufen könne. Diese werde jedoch nicht schrankenlos gewährt, sondern kollidiere vorliegend mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht von W. nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Da keines der beiden Grundrechte einen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen könne, müsse eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen werden.
Zwar habe grundsätzlich die aktuelle Berichterstattung über schwere Straftaten und damit das Informationsinteresse der Öffentlichkeit Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz von Straftätern. Es müsse jedoch stets Rücksicht auf den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung genommen werden, sodass die Namensnennung, Abbildung oder sonstige Identifikation von Tätern nicht immer zulässig sei. Vorliegend handele es sich um eine spätere Berichterstattung, welche die Wiedereingliederung von W. in die Gesellschaft gefährde. Eine solche Gefährdung der Resozialisierung sei regelmäßig anzunehmen, wenn eine den Täter identifizierende Sendung über eine schwere Straftat nach seiner Entlassung oder in zeitlicher Nähe zu der bevorstehenden Entlassung ausgestrahlt werde.
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Anmerkungen
Das Lebach-Urteil zählt mit zu den wichtigsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Denn der Erste Senat hat hier erstmals klargestellt, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht per se absoluten Vorrang hat, sondern in bestimmten Situationen hinter dem Resozialisierungsinteresse von verurteilten Straftätern zurücktreten muss. Damit kommt es mal wieder auf die Umstände des Einzelfalles an. Ausschlaggebend war hier, dass seit der Tat bereits 3 Jahre vergangen waren und Gernot W. kurz vor seiner Entlassung stand.
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