Sachverhalt
Im Sommer des Jahres 1910 befand sich Pfarrer P aus dem badischen U. im Sterbeprozess. Er wollte, dass der Bonifatius-Verein seine Wertpapiere im Wert von 71.020 Mark erhält und erzählte dies am 8. August 1910 seinem früheren Vikar, dem Pfarrkuranten D:
“Ich schenke meine Papiere dem Weihbischof Dr. K. zur Verwendung für den Bonifatius-Verein. Es ist Geld von der Kirche und soll auch wieder für die Kirche verwendet werden. Ich übergebe es Ihnen, damit Sie es dem Weihbischof gelegentlich übergeben; es mögen aber für 2000 M heiliges Messen gelesen werden. … Es ist das eine Schenkung unter Lebenden, es steht nichts im Wege, ich kann es Ihnen aber heute nicht geben. Wenn ich wohl genug bin, werde ich sie zusammenlegen; kommen Sie sobald als möglich.”
Am 11. August 1910 übergab P seine Wertpapiere an D. In den darauffolgenden Tagen errichtete er sein Testament vor einem Notar und setzte seine Schwester S als Alleinerbin ein. Nur einen Tag später, am 21. August 1910, verstarb P.
Am 25. August 1910 übergab D die Wertpapiere an den Weihbischof W. Dieser war der für die Diözese Freiburg ordnungsgemäß bestellte Vertreter des Bonifatius-Vereins. W nahm die Wertpapiere für den Verein an und ließ sie für diesen aufbewahren. S war hiermit jedoch nicht einverstanden und verlangte die Herausgabe der Wertpapiere. Als W dies ablehnte, verklagte sie den Bonifatius-Verein und D.
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Entscheidung
Das Landgericht Karlsruhe wies die Klage gegen D ab und verurteilte den Bonifatius-Verein antragsgemäß auf Herausgabe der Wertpapiere. Die Klageabweisung betreffend D wurde rechtskräftig. Auf die Berufung des Bonifatius-Vereins hob das Oberlandesgericht Karlsruhe die Entscheidung hinsichtlich der Klagestattgabe wieder auf.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass S keinen Herausgabeanspruch gegen den Bonifatius-Verein habe, da dieser wirksam Eigentümerin der Wertpapiere geworden sei. P habe seine entsprechende Willenserklärung hinsichtlich der schenkungsweisen Eigentumsübertragung am 11. August 1910 dem D mitgeteilt. Dieser sei zwar selbst kein Erklärungsempfänger gewesen, sondern nur ein Erklärungsbote. Allerdings habe dieser die Willenserklärung am 25. August 1910 dem W als ordnungsgemäß berufenen Vertreter des Bonifatius-Vereins übermittelt, der mit dem schenkungsweisen Eigentumsübergang auch einverstanden gewesen sei.
Dass P zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war, sei nach §§ 130 II, 151 S. 1 BGB unerheblich. Soweit S vorträgt, sie sei mit der Eigentumsübertragung nicht einverstanden gewesen, hätte sie dies spätestens am 25. August 1910 dem W mitteilen müssen nach § 130 I 2 BGB, was sie vorliegend jedoch unstreitig nicht gemacht habe. Damit seien zwischen P und dem Bonifatius-Verein sowohl der schuldrechtliche Schenkungsvertrag nach § 516 BGB, als auch die dingliche Eigentumsübertragung nach § 929 BGB wirksam gewesen.
Das Reichsgericht gab der Revision von S mit Urteil vom 28.10.1913 (Az. VII 271/13, RGZ 83, 223) statt und hob das Berufungsurteil auf, sodass damit faktisch die Entscheidung des Landgerichts wiederhergestellt wurde. Zur Begründung führte der VII. Zivilsenat aus, dass S einen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB gegen den Bonifatius-Verein habe. Denn S sei mit dem Tod des P am 21. August 1910 aufgrund des notariellen Testaments im Wege der Universalsukzession nach § 1922 BGB Alleinerbin des Nachlasses von P einschließlich der Wertpapiere geworden.
Der Bonifatius-Verein sei auch nicht schon vorher Eigentümerin der Wertpapiere geworden. Denn entscheidend sei, dass die Willenserklärung des P erst nach dessen Tod an W übermittelt wurde und S zu diesem Zeitpunkt bereits Eigentümerin der Wertpapiere gewesen sei. Damit habe es sich schuldrechtlich um ein Schenkungsversprechen von Todes wegen gehandelt nach § 2301 BGB, dessen formale Voraussetzungen jedoch unstreitig nicht vorgelegen haben. Selbst wenn man – wie die Vorinstanz – zu Unrecht von einer Schenkung unter Lebenden ausgehen würde, würde es auch hier an den formalen Anforderungen nach § 518 I BGB fehlen. Eine Heilung nach § 518 II BGB wäre ebenfalls nicht eingetreten, da der Vollzug noch zu Lebzeiten des P hätte erfolgen müssen.
Soweit das Oberlandesgericht meint, dass S der Eigentumsübertragung spätestens bis zum 25. August 1910 hätte widersprechen müssen, sei dies schlichtweg unzutreffend. Denn S habe zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts von der gesamten Angelegenheit gewusst, sodass von ihr insoweit auch keine Widerrufserklärung verlangt werden könne. Außerdem verkenne die Vorinstanz, dass eine wesentliche Voraussetzung für den dinglichen Eigentumsübergang nach § 929 BGB unstreitig fehle, nämlich das Einigsein zwischen S und dem Bonifatius-Verein zum Zeitpunkt der Übergabe.
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Anmerkungen
Der Bonifatius-Fall ist ein absoluter Klassiker, der verschiedene Rechtsgebiete miteinander kombiniert, nämlich BGB AT, Schuldrecht, Sachenrecht und Erbrecht. Damit wird deutlich, dass man Jura zwar in einzelne Teilrechtsgebiete einteilen kann, aber dass man nicht auch dementsprechend trennscharf lernen sollte. Denn spätestens in den Examensklausuren ist ein umfassendes Verständnis der juristischen Systematik über die einzelnen Rechtsgebiete hinaus unerlässlich.
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